TOP10 in Textform: Ein Dorfladen für Pracht!

Mittwoch, 19.30 Uhr. Jetzt ungefähr wäre wohl die Gemeinderatssitzung geendet. Vielleicht wäre unter TOP 8 ein Netto Discounter für unser Dorf beschlossen worden. Oder auch nicht. Sicher wären die Gemüter hochgekocht danach, in alle Richtungen. Und ganz sicher hätte ich zumindest von der Idee erzählt, die sich hinter TOP10: “Gastmoderatorin stellt LEADER Fördermöglichkeiten vor” versteckte: Einer neuen Dorfmitte für Pracht. Mit kleinem Dorfladen, selbstverwaltetem Café und Gemüsegarten. Nichts davon ist passiert. Deswegen schreibe ich diesen Text.

Wäre ich eine Lokalreporterin, so würde ich wohl bei Udo Seidler beginnen, dem Ortsbürgermeister von Pracht, der die Gemeinderats-Sitzung am 15.3.2023 in nicht mal einer Minute mit der Begründung verschob, der Raum sei für so viel Interesse schlichtweg zu klein. Und dann würde ich von all den Menschen erzählen, die ihren Weg zur Gemeinderatssitzung gefunden hatten an dem Abend, viele von ihnen wahrscheinlich zum ersten Mal. Ein starker Anfang! Stattdessen beginne ich beim ehemaligen Restaurant Bongout. Oder vielmehr: Bei dem, was daraus werden könnte.

Wir stellen uns vor: ein Samstagvormittag im Frühjahr 2024. Der Duft von frischen Brötchen. Wenn’s gut läuft, sogar: Zimtschnecken! Vielleicht gar: heiße Fleischwurst? Soll’s alles schon im Ort gegeben haben... Kinder spielen zwischen Hochbeeten, während Erwachsene ihre Pläuschchen halten. “Mensch, Klaus! Du auch wieder hier?” Hinter Klaus läuft ein Kontrabass vorbei. “Heute Nachmittag ist Chorprobe!”, ruft er. “Ich mach’ den Takt!”    

Der Ort, den ich hier beschreibe, heisst “Hof Prachtleben”. Seitdem er im Sommer 2023 die Besitzer gewechselt hat, gehört er vielen. Oder, anders gesagt: Er gehört vor allem sich selbst. So zumindest steht’s in der Satzung der Genossenschaft, die den Ort vor einem knappen Jahr gemeinschaftlich erwarb: “Hof Prachtleben ist dem Gemeinwohl gewidmet. Sein Ziel ist nicht die Vermehrung von Geldkapital, sondern das gute Leben für alle”. Punkt. Aus. Artikel §2. 

Seit es den “Hof Prachtleben” gibt, hat der Ort wieder einen kleinen, aber feinen Dorfladen: mit den nötigsten Dingen des täglichen Bedarfs und guten regionalen Produkten. Der Bürgerverein hält seine Treffen hier ab; einmal im Quartal tagt der Gemeinderat. Es gibt eine Anlaufstelle für Menschen, die bei ihrer Laptop-Arbeit lieber in Gemeinschaft sind. Und ein Café, das gleichsam oft und selten genug geöffnet hat, um für viele zur Institution zu werden. Das Beste aber am “Hof Prachtleben” ist: Er könnte Realität werden!   

Orte wie “Hof Prachtleben” gibt es bereits. Sie schießen derzeit sogar wie Pilze kreuz und quer durch Deutschland aus dem Boden. Seitdem hohe Mieten, Natur-Sehnsucht, die Möglichkeit zu Home-Office oder das Erleben einer Pandemie auf engstem Raum die Menschen aus den Städten zurück aufs Land treiben, entsteht ordentlich Bewegung im ländlichen Raum: Jahrzehntelange Leerstände werden plötzlich mit kreativen Konzepten wieder belebt, Car-Sharing-Systeme für die Nachbarschaft erfunden, Kulturvereine oder Mehr-Generationen-Häuser gegründet. Meistens profitiert davon die ganze Ortschaft, manchmal gar die gesamte Region: Da findet Begegnung statt! Da menschelt’s! Und musiziert’s! So lange, bis auch noch der letzte Nörgler genüsslich in seine Zimtschnecke beißt. 

Dass hinter dieser Gute-Laune-Fassade meist jahrelange Prozesse stecken, die sowohl mit enormen zeitlichen und finanziellen, immer aber mit privaten Kosten für die Macher:innen verbunden sind, versteht sich leider nicht von selbst: Am

häufigsten scheitern (gemeinwohlorientierte) Unternehmungen mit echtem Potenzial daran, dass die Macher:innen kein Geld, keine Zeit oder keine Kraft mehr haben, manchmal auch alles gleichzeitig – insbesondere dann, wenn sie alleine oder “gegen “Windmühlen” gestartet sind. 

Das Netzwerk Zukunftsorte nennt “verlässliche Unterstützungsstrukturen” daher als einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren im Bereich der gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung. Begrüßen möglichst viele Menschen aus dem Ort selbst das Projekt? Sind sie vielleicht gar bereit, Geld und/oder Zeit dafür zu investieren? Wie sind sonstige Rahmenbedingungen vor Ort? Wie stehen Bürgermeister und Gemeinderat zum Vorhaben? Als weitere Erfolgsfaktoren werden “Gewerbe-Räume mit flexiblen Nutzungsmöglichkeiten” empfohlen sowie die Möglichkeit zur “Verbindung von Leben und Arbeiten an einem Ort”. Am wichtigsten aber: “eine oder mehrere intrinsisch motivierte Person(en) mit Know How”.

Hier schreibt nun also eine dieser “intrinsisch motivierten Person mit Know How” – weitere müssen noch gefunden werden. Intrinsisch motiviert bin ich zum Einen, weil ich als Bürgerin von Pracht große Lust habe, an einem lebendigen und freudvollen Ort zu leben – einem Ort, an dem sich die Leute kennen! Intrinsisch motiviert bin ich zum Anderen, weil ich als Gründerin vom Wir-Dorf, die sich seit 12 Monaten intensiv mit gemeinwohlorientierter Immobilienentwicklung und gemeinschaftsbasierten Wirtschaftsmodellen auseinandersetzt und bestens vernetzt ist, wirklich glaube, dass wir mit “Hof Prachtleben” eine Chance auf Erfolg haben könnten. Die Bedingungen sind gut – besser werden sie nicht. Jetzt ist die Dorf-Gemeinschaft gefragt: Wollen wir? Oder wollen wir nicht? Machen wir? Oder machen wir nicht? 

Womit wir beim Thema wären, über das niemand spricht – zumindest nicht auf öffentlicher Bühne: die angedachte Filiale des Lebensmitteldiscounters Netto hier bei uns im Ort. Ich persönlich hätte bei der Gemeinderatssitzung den Knall gerne gehört – fast egal, in welche Richtung. Ich saß dort weder “Dafür” noch “Dagegen”: Ich saß dort mit einer Idee, die auf den Startschuss wartet. Und deren Diskussion keinen Aufschub mehr duldet. Es ist eine lebendige Idee, wie ich finde. Eine, die dem Dorf noch besser steht als ein Netto-Discounter. Sie ist mitreißend. Sozial. Und sie zerstört keinen Lebensraum. Im Gegenteil: Sie schafft neues Leben! Ob ein “Hof Prachtleben” auch im Schatten eines Netto florieren könnte? Und ob ich selbst für die Entwicklung des Projekts dann noch zur Verfügung stünde? Ich weiss es (noch) nicht. Mein unternehmerisches Bauch-Gefühl und ein kurzer Blick in die LEADER Bewilligungsbedingungen sagt zu beidem: eher nein. 

Geknallt hat es trotzdem – und zwar so laut, dass der Knall die Gemeinderatssitzung gesprengt hat: Das Interesse an Konzepten zur Nahversorgung ist riesig! Peng! Wenn das mal nicht der Startschuss war! Ich lege also los. Und werfe hiermit händeweise Prachtleben-Samen unter die Leute – wozu sonst hätte ich in den letzten Wochen geackert? Mögen sie wachsen oder eingehen, austreiben oder vertrocknen: Egal wie, es wird schon richtig sein. 

Was danach geschieht? Keine Ahnung. Zunächst einmal haben wir Zeit gewonnen. Bis zur nächsten Gemeinderatssitzung können wir in einem wie auch immer gearteten Prozess herausfinden, was eigentlich wirklich gewünscht wird – und ob überhaupt. Bei Interesse, Resonanz oder eigenen Ideen: Tretet gerne mit uns in Kontakt! Meldet euch zum Newsletter an, um informiert zu bleiben. Sprecht mit Freunden und Familie. Wo möchte Pracht hin?

 

Lieber Bürgermeister, lieber Gemeinderat, liebe Bürgerinnen und Bürger: Ich danke für Eure Aufmerksamkeit. TOP 10 auf der Tagesordnung beendet die entfallene Sitzung nun doch fast nach Plan: mit handfesten Möglichkeiten. Finanzielle Vorteile entstünden für mich durch eine Umsetzung übrigens keine, zumindest nicht unmittelbar. Im Gegenteil: Eher türmt sich dann ein Berg aus Arbeit vor mir auf, für den die Finanzierung bislang nicht gesichert ist. Auch deshalb habe ich keine Zeit zu verlieren. Also: Top oder Flop? Machen oder Lassen? Ich leite damit über zu Tagesordnungspunkt 11: der Bürgerbeteiligungsstunde!

Zurück
Zurück

Aus für’s PRÄCHTIG.

Weiter
Weiter

Seminar-Ort sucht Nutzer:innen-Community!